Luzia Moniz

© Luzia Moniz

Luzia Moniz
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„Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen müssen in die Debatte eingebunden werden, denn nur sie können politische Maßnahmen zur Veränderung des derzeitigen, diskriminierenden Status quo ergreifen.“

Interview: Marta Lança, 2020

Welche Orte in Lissabon spiegeln die kolonialen Beziehungen wider?

 

Der Padrão dos Descobrimentos (Denkmal der Entdeckungen), der die Ära der portugiesischen maritimen Expansion und der „Entdeckungen“ (descobrimentos ) repräsentiert, müsste eigentlich Denkmal der „Verschleierungen“ (encobrimentos ) heißen. Dieses Monument symbolisiert den Beginn eines Prozesses, der zu den ungeheuerlichsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit führte: der Sklaverei und des Kolonialismus, die auf barbarische Art und Weise von Portugal praktiziert wurden, einem Land mit besonderer Verantwortung für die Ausbeutung und Plünderung Afrikas und der Afrikaner*innen.

Ein weiterer Ort wäre der Rossio, genauer gesagt der Largo de São Domingos, der heute ein Ort der Erinnerung an das Massaker an Jüdinnen und Juden ist. Dieser Ort war im 18. und 19. Jahrhundert eine Art Mutamba , ein Ort der Begegnung zwischen Afrikaner*innen.

Meine dritte Wahl fällt auf die Straße Poço dos Negros, um daran zu erinnern, dass 1515 König Manuel I. einen Erlass veröffentlichte, der vorschrieb, die Leichen der Sklavinnen und Sklaven nicht mehr auf Müllhalden zu werfen, sondern eine Grube zu graben, in die ihre Leichen geworfen und mit Kalk bedeckt werden sollten, so dass diese Gegend der Stadt eine Art Horrorfriedhof wurde. Ein weiterer Ort wäre der Praça do Comércio.

Welchen Ort für würden Sie zum Gedenken wählen und warum?

 

Unter diesen Orten würde ich den Praça do Comércio oder Terreiro do Paço wählen, weil dort der Zoll Lissabons angesiedelt war, zu dem auch das Casa dos Escravos (Haus der Sklaven) gehörte. Hier kamen ab dem 16. Jahrhundert afrikanische Sklavinnen und Sklaven an und so entstand an diesem Ort einer der zentralen Sklavenmärkte, das heißt, der gesamte Uferbereich vom Cais do Sodré bis zum Campo das Cebolas war Anlegestelle und Zone des Handels mit Sklaven.

Im Zollbereich, der den Sklavenmarkt einschloss, sollte ein Zentrum für afrikanische Kultur und Kunst geschaffen werden mit einem Raum, der die Geschichte dieses Ortes erzählt.“

Wie würden Sie gern an diesen Ort erinnern?

 

Ich würde zuerst den Namen in Praça de África (Afrikanischer Platz) oder Praça dos Africanos (Platz der Afrikaner) ändern als eine Art historischer Wiedergutmachung und um die Millionen von Afrikaner*innen zu würdigen, die gewaltsam aus ihrer Heimat gerissen, weggebracht und entmenschlicht, in Waren verwandelt und über Hunderte von Jahren jedweder Würde beraubt wurden. Dabei geht es auch um die Erinnerung an diejenigen, die auf Schiffen erkrankten und lebendig ins Meer geworfen wurden und die auf Schiffen starben und ebenfalls ins Meer geworfen wurden, ohne jemals am Terreiro do Paço zu landen. Im Zollbereich, der den Sklavenmarkt einschloss sollte ein Zentrum für afrikanische Kultur und Kunst geschaffen werden mit einem Raum, der die Geschichte dieses Ortes erzählt, der Geschichte der Sklaverei und der Kolonialherrschaft, das heißt, einer anderen Geschichte Portugals. Das wäre ein Akt der Wiedergutmachung und eine symbolische Wiederherstellung der Würde, die diesen Menschen genommen wurde.

Wie schätzen Sie die bisherigen Diskussionen über die Erinnerungspolitik der Stadt ein?

 

Diese Diskussionen fehlen, weil Portugal auf dem rückwärtsgewandten Narrativ der „Entdeckungen“ besteht und damit die Ära der Verschleierungen fortsetzt, indem man weiterhin von Begegnungen zwischen Völkern spricht, was jede ernsthafte Diskussion vergiftet. Politiker*innen und Personen mit Entscheidungsgewalt müssen in die Debatte mit eingebunden werden, denn nur sie können Veränderung des derzeitigen, diskriminierenden Status quo erwirken. Leider ist das historische Narrativ eines Portugals de Abril [1] dasselbe wie eines Portugals unter Salazar. In dieser Hinsicht hat sich nichts geändert.

Welchen Beitrag leisten rassifizierte Menschen zu dieser Debatte?

 

Rassifizierte Personen kämpfen täglich dafür, dass diese Debatte auf der Tagesordnung bleibt. Doch angesichts der Unsichtbarkeit, unter der sie leiden, ist dies kein einfacher Prozess. In Portugal hat die Linke längst aufgegeben, rassistische Diskriminierung und ihre Ursprünge und damit die keineswegs glorreiche Vergangenheit Portugals zur Diskussion und ins Zentrum des politischen Denkens und Handelns zu stellen. Die Rechte und extreme Rechte setzen die Narrative Salazars fort und bestehen auf einer Interpretation der Geschichte, in der alte Privilegien von Menschen mit weißer Hautfarbe erhalten bleiben. Doch die rassifizierten Menschen fühlen sich bereit für diesen Kampf. Es gibt viele, wie u. a. Joacine Katar Moreira, Cristina Roldão, Carla Fernandes, Mamadou Ba, Schwarze Kollektive, Afrikaner*innen und andere Menschen afrikanischer Herkunft.

Übersetzung: Bettina Wind