Denkmal der Entdeckungen

© Rui Sérgio Afonso 2021

Denkmal der Entdeckungen

„Auch die Steine sprechen“

Yara Monteiro
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Am rechten Ufer der Tejomündung in Belém befindet sich das Denkmal der Entdeckungen „Padrão dos Descobrimentos“, Postkartenmotiv für Lissabon-Touristen und eins der bezeichnendsten Propagandasymbole des sagenumwobenen „Portugiesischen Weltreichs“. Das Denkmal feiert die Unternehmungen portugiesischer Seefahrer und deren Initiator Heinrich den Seefahrer; ihre tragischen Konsequenzen werden allerdings vergessen.

Padrão dos descobrimentos 2021. © Rui Sérgio Afonso

Das Denkmal

Das Denkmal für die „Entdeckungen“ bildet mit dem Praça do Império und dem Hieronymuskloster ein „Ensemble der Erinnerung“ (Peralta 2013), in dem sich die Vorstellungswelten des glorreichen portugiesischen Weltreichs verdichten – ein Gedankengebäude einer idealisierten Expansion über den Seeweg zum Wohle aller, wie es vor allem der Estado Novo [die faschistische Salazar-Caetano-Diktatur von den 1930er-Jahren bis 1974 a.d.Ü.] kultivierte. 

Erinnert sei daran, dass der Hauptantrieb für die portugiesische Expansion die Überwindung der Krise im 14. Jahrhundert war, um einem Mangel an Arbeitskraft, Getreide und Edelmetallen zu begegnen. Das portugiesische Seeabenteuer basierte auf wirtschaftlichen Interessen, die Motivation war also keinesfalls christianisierender Altruismus. 

Das einer Karavelle – dem charakteristischen Schiff der „Entdeckungen“ - nachempfundene Denkmal am Tejoufer zeigt am Bug die Figur Heinrich des Seefahrers. Rechts und links vom Schiff stehen zweiunddreißig Ikonen der portugiesischen Historie, darunter Könige, Eroberer, Seefahrer, Missionare und Künstler. 

Die erste Version des Denkmals hatte noch den Charakter des Temporären und war 1940 Teil einer „Ausstellung der Portugiesischen Welt“ (Exposição do Mundo Português), die das doppelte Jubiläum der portugiesischen Staatsgründung und Wiedererlangung der Eigenständigkeit 1640 nutzte, um die Diktatur Salazars zu untermauern. Es ist unter diesem Gesichtspunkt also das Symbol einer politisch-identitären Initiative.

1942 wurden große Teile der Ausstellung durch ein starkes Unwetter beschädigt und das Denkmal selbst 1943 abgerissen. Kaum 20 Jahre später steht das Regime des Estado Novo international unter Druck, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der Kolonien anzuerkennen. In Portugal selbst kommt es 1958 mit der Kandidatur des oppositionellen Humberto Delgado zu einer starken Mobilisierung der Bevölkerung gegen das Regime. Dagegen bringt der Estado Novo eine landesweite Propagandastrategie zur Stärkung und Konsolidierung der eigenen Machtposition in Stellung. So wird 1960 anlässlich des 500. Todestags Heinrich des Seefahrers das Denkmal der Entdeckungen neu aufgebaut. Erneut bemühen die Feierlichkeiten dazu das historische Narrativ der Expansion über die Ozeane, aber nun mit einer ideologischen Korrektur: „Kolonialreich“ hatte man durch „Portugiesisches Engagement in Übersee“ ersetzt, 1951 war das Kolonialstatut neu formuliert und in die Verfassung aufgenommen, das auf einer Unterscheidung von „Mutterland“ und „Kolonie“ basierende „Portugiesische Kolonialreich“ auf dem Papier ausradiert worden. Was bis dahin Kolonie gewesen war, hieß nun „Überseeprovinz“ und der Mythos von der portugiesischen Zivilisations- und Evangelisierungsleistung war gerettet. 

Von damals stammt auch die Windrose auf dem Boden vor dem Denkmal, ein Geschenk der damaligen Südafrikanischen Union,  heute Südafrika; Sinnbild der damals von beiden Ländern geteilten internationalen Isolation: Portugal wegen seiner Kolonialpolitik, Südafrika wegen der Apartheid, die dort noch bis 1994 anhalten sollte. Die riesige Windrose mit ikonografischen Elementen der Naos und Karavellen, versehen mit den wichtigsten Daten und Routen der portugiesischen Expansion über die Ozeane, wird zur weiteren Erkennungsmarke jener luso-tropischen Mär vom „guten“ Kolonisator und Portugals Rolle bei der Verbreitung der „Zivilisation“. Durch politische Propaganda versuchte Portugal den Bestand seiner Kolonien zu rechtfertigen. 


Padrão dos descobrimentos 2021. © Rui Sérgio Afonso

Die Doppelbedeutung des Denkmals

Das monumentale Ensemble der Karavelle mit den sie umgebenden Statuen symbolisiert den Ruhm des portugiesischen Weltreichs. Die Tragödien werden ausgespart. Seine Akteure sind in zweifacher Hinsicht zu sehen: als Helden und Henker. Doch die offizielle Symbolik des Denkmals stellt das Imperium nicht in den beiden, den guten und schlechten Facetten dar und wird damit auch zu einem Symbol des Verleugnens und Vergessens der Kolonisierung, dem mit ihr verbundenen Sklavenhandel, der zerstörten Zivilisationen und dem heute noch in der portugiesischen Gesellschaft herrschenden Rassismus; der mangelnden Auseinandersetzung damit, dass Entdeckungen und Kolonialismus zwei zwar unterschiedliche, aber untrennbar miteinander verbundene Dinge sind. 

Die historische Erinnerung Schwarzer und afrikanischstämmiger Portugies*innen, die auf die Expansion auf dem Seeweg zurückgeht – und die im Denkmal der Entdeckungen implizit enthalten ist – wird verleugnet und nicht als Teil der portugiesischen Geschichte gesehen. So verstärken Denkmäler wie dieses das Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit dieser Bürger*innen zur portugiesischen Nation. 

Als Versuch einer Neudefinierung des Monuments und seines  Erinnerungsgehalts unternimmt die Kommunale Kulturgesellschaft der Stadt Lissabon namens EGEAC Initiativen und stößt Debatten an mit dem Ziel einer Auseinandersetzung mit „Darstellungen des früheren portugiesischen Weltreichs“, „Rassismus und Zivilgesellschaft“ sowie Afrikabilder. 

Ruhm und Tragödien: beides muss erzählt werden.

Padrão dos descobrimentos 2021. © Rui Sérgio Afonso

Grada Kilomba (2019) bezeichnet einen Prozess der Übernahme von Verantwortung als unabdingbar für das Entstehen „neuer Konfigurationen von Macht und Wissen“, also als grundlegende Bedingung dafür, dass eine Gesellschaft sämtliche Stimmen und alle Bürger*innen in die Neubewertung und Konstruktion von Geschichte, Erinnerung und die eigene Zukunft einbezieht. Diesem Gedanken entsprechend ist auch unerlässlich, dass Portugals kollektives Bewusstsein den derzeitigen Zustand  der Verleugnung hinter sich lässt und das Denkmal der Entdeckungen als imaginäre und aus ihrem historischen Gesamtkontext herausgelöste Darstellung im Geiste des Estado Novo im öffentlichen Raum neu bewertet. Eine Gesellschaft, die sich als demokratisch begreift und begreifen will, darf nicht an selektiver Erinnerung „leiden“, die Tragödien und das Unsichtbarmachen von Völkern und Zivilisationen ausblendet. 

Debatte und Identitätskrise 

In Portugal ist in letzter Zeit in der Presse und in sozialen Netzwerken eine neue Debatte über die Relevanz und Legitimität des „Padrão dos Descobrimentos“ entbrannt. Die Kontroverse entzündet sich an der oben beschriebenen Doppelbedeutung. Der sozialistische Abgeordnete Ascenso Simões postulierte in einem Meinungsartikel, das Denkmal gehöre wegen seines ideologischen Gehalts längst abgerissen, ein paar Tage später präsentierte die Gegenseite, die rechtsextreme Partei Chega, ihren ersten Kandidaten für das Bürgermeisteramt von Lissabon „symbolisch“ am Sockel genau dieses Denkmals.

Im Kern der Debatte um das Padrão dos Descobrimentos steckt die Auseinandersetzung darüber, wer Anspruch auf Erinnerung und auf die Stadt insgesamt hat, sind doch nach Achille Mbembe (2014) die unterschiedlichen Bedeutungen des Monuments im öffentlichen Raum Darstellungen institutionalisierter Geschichte und Mächte und folglich nicht von Mechanismen der Macht und der Dominanz zu trennen. 

Die Geschichte der portugiesischen Übersee-Expansion nur zur Hälfte zu erzählen unterschlägt die Geschichte unserer Vorfahr*innen und ist (zudem) Ursprung des aktuellen Rassismus, der Diskriminierung, Ungleichheit und Verleugnung, denen Schwarze und afrikanischstämmige portugiesische Staatsbürger*innen ausgesetzt sind. Der öffentliche Raum ist gemeinschaftlich und gehört allen, also ist es vollkommen legitim, nach der Repräsentanz und Angemessenheit dessen zu fragen, was sich dort heute befindet. Das beharrliche nicht zuhören wollen derjenigen, die institutionelle und historische Macht innehaben, verursacht Unbehagen, Empörung, Protest. Insofern ist das Entdeckerdenkmal nach der Metapher von Boaventura de Sousa Santos aus der Vergangenheit stammend nun Teil der Gegenwart, das es Gegenstand der Auseinandersetzung geworden ist. 

Tatsächlich ist eine gesellschaftliche und politische Diskussion fundamental, um Mythos und Wirklichkeit auseinanderzuhalten, sich als gesellschaftliches Gefüge in der Geschichte wiederzufinden und für den Übergang zur Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft. 

Es wird von Ruhm gesprochen, lasst uns die Tragödien nicht vergessen.

Eine gemeinsame Zukunft erwächst aus der Vergangenheit aller

Abseits von institutioneller Macht wird die Stadt Lissabon permanent durch ihre Bewohner*innen umgedeutet, die neue Symboliken schaffen und denken. 

Am Tejo neben dem Entdeckerdenkmal befindet sich der Espaço Espelho d’Água, wo afrikanische und afrikanischstämmige Künstler*innen, Denker*innen, Träumer*innen afrikanische Kultur zelebrieren. Der Tejo davor spiegelt symbolisch die Schwarzen Gesichter, die sich wiederum mit dem Denkmal vermischen. Ich stelle mir das Padrão dos Descobrimentos als Anker vor - Sinnbild für den Konflikt von Land und Meer – in dem sich Portugals Zukunft verhakt und es am Aufbau einer egalitäreren Gesellschaft hindert, in der alle Stimmen Gehör finden und Veränderungen „vorantreiben“. Mir kommt auch das Bild eines Astrolabiums in den Sinn, ein für die Expansion über die Meere unentbehrliche Navigationsinstrument und ich kann nicht vergessen, dass afrikanische Gesellschaften der Antike schon lange vor dieser Erfindung die Konstellationen der Sterne studierten.

Padrão dos descobrimentos 2021. © Rui Sérgio Afonso

Die Schaffung eines neuen gesellschaftlichen Gleichgewichts führt über die Beteiligung ALLER an der Lösung dieses Konflikts um Erinnerung und Neubewertung von Monumenten im öffentlichen Raum. Dafür ist unter den gegenwärtigen Bedingungen der Übergang von der Leugnung von Tragödien hin zu ihrer Anerkennung unabdingbar. Es braucht ein mea culpa in Form der Wiederherstellung von Erinnerung, damit nicht schon wieder die gleichen Fehler gemacht werden. Nur so wird es möglich sein, auf der Vergangenheit aller und für alle eine gemeinsame portugiesische Zukunft zu gestalten.

Sich den Tragödien stellen, von denen der Ruhm erzählt.

Übersetzung: Michael Kegler

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Bibliografie

Bethencourt, Francisco(2017), “Racismo e Cidadania”, https://padraodosdescobrimentos.pt/wp-content/uploads/2019/03/ENSAIO_Prev_compressed.pdf

e-Cultura (s.d.), “RETORNAR – Traços de Memória”, link verificado à data de 26/03/2021, https://www.e-cultura.pt/evento/1419

Kilomba, Grada (2019): Memórias da Plantação – Episódios de Racismo Quotidiano , Orfeu Negro: Lisboa, pp. 5-6

Lusa (2021), “Comunicador Nuno Graciano é o candidato do Chega à Câmara de Lisboa”, Público , https://www.publico.pt/2021/03/15/politica/noticia/comunicador-nuno-graciano-candidato-chega-camara-lisboa-1954423

Mbembe, Achille (2014), “Crítica da Razão Negra”, Antígona: Lisboa (tradução de Marta Lança)

Peralta, Elsa (2013): “A composição de um complexo de memória: o caso de Belém, Lisboa”, in : Domingos, N. & Peralta, E. (orgs.) (2013), Cidade e Impé rio: Dinâmicas Coloniais e Reconfigurações Pós-coloniais, pp. 361-407, Edições 70: Lisboa

Simões, Ascenso (2021), “O salazarismo não morreu”, Público , link verificado à data de 26/03/2021, https://www.publico.pt/2021/02/19/opiniao/opiniao/salazarismo-nao-morreu-1951297

Zuletzt geändert am: 29/03/2024 09:28:43

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