Elsa Peralta

© Marta Lança

Elsa Peralta
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„Belém schafft eine symbolische Synthese der nationalen Identität, in der die Figur des Imperiums eine zentrale Rolle spielt.“

Interview: Marta Lança, 2020

Welche Orte würden Sie wählen, um an die Kolonialität im Großraum Lissabon zu erinnern?

Den Komplex des Viertels Belém – das Denkmal der Entdeckungen (Padrão dos Descobrimentos), das Kloster Mosteiro dos Jerónimos, der Turm von Belém (Torre de Belém), der Platz Praça do Império, das Monument und Denkmal für die Übersee-Kombattanten (Memorial aos Combatentes do Ultramar), die Tropischen Gärten (Jardim Tropical), die Statue von Afonso de Albuquerque, das Ethnologiemuseum. Dies ist der paradigmatische Fall einer Einschreibung und Verdichtung einer Erinnerung an das portugiesische Kolonialimperium, der im öffentlichen Raum Portugals existiert. Hier fand 1940 die portugiesische Weltausstellung statt. Belém schafft eine symbolische Synthese der nationalen Identität, in der die Figur des Imperiums eine zentrale Rolle spielt. Andererseits ist das Viertel auch ein Ort der Beobachtung, an dem die Komplexitäten, die der Konstruktion und Verbreitung öffentlicher Erinnerung zu eigen sind, theoretisch hinterfragt werden können. Ich würde auch den Park der Nationen (Parque das Nações) wählen, den ich als privilegierten Schauplatz der Reaktivierung einer postimperialen Erinnerung in einer demokratischen Zeit sehe, und einen Schwerpunkt auf die Straßennamen legen, die mit dem Meer und den „Entdeckungen verbunden sind. Schließlich könnte man auch die Statue von D. João I und die Portugiesische Gesellschaft für Geografie wählen sowie das Viertel der Neuen Nationen (das frühere Viertel der Kolonien) in Arroios.

„Belém schafft eine symbolische Synthese der nationalen Identität, in der die Figur des Imperiums eine zentrale Rolle spielt.“

Welchen Ort würden Sie wählen, um diese Beziehung zwischen Stadt und Kolonialgeschichte zu betonen und warum?

 

Den Cais da Rocha do Conde de Óbidos in Alcântara, weil es ein Ort des ständigen Abreisens und Ankommens zwischen der ehemaligen Metropole und ihren Kolonien war: Von Kolonisten, Soldaten, die ab 1961 zu den Kolonialkriegen aufbrachen und den „Heimkehrern, die hier mit dem Schiff ankamen. Der Kai war 1975 auch von Tausenden von Holzkisten mit den Besitztümern dieser „Heimkehrer“ besetzt. Im Kontrast zu der Darstellung einer grandiosen imperialistischen Nation im westlichen Teil der Stadt ist der Cais da Rocha do Conde de Óbidos ein Ort ohne Erinnerung. Hier gibt es nicht einmal eine Spur oder Andeutung an diese kolonialen Transitsituationen.

 Welche Art der Erinnerungskultur schlagen Sie für diesen Ort vor?

 

Anstelle einer festen und statischen Erinnerungskultur mithilfe einer Tafel oder einer Statue könnte die Erinnerung an den Ort durch interpretative oder performative Interventionen stattfinden, die es ermöglichen, die verschiedenen Sinnebenen (emotionale, politische, soziale etc.), die mit dem Ende von Imperien verbunden sind, kritisch zu diskutieren. Künstler*innen wie Pedro Coquenão [1] oder Márcio Carvalho [2] u. a. wären eine Wahl für diese Interpretationen. Deshalb schlage ich eine dynamische und mit allen Sinnen offene Erinnerungskultur vor und nicht eine feste oder festgelegte.

Übersetzung: Bettina Wind

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Fußnoten

[1] Pedro Coquenão aka Batida, geboren in Huambo, Angola, wuchs in den Vororten Lissabons, Portugal, auf und widmet sein Leben den drei Bereichen Musikproduktion, Radio und Videografie. Der Name Batida ist von den in den Straßen Luandas zirkulierenden illegalen Compilations sowie seinem DIY-Spirit inspiriert. Mit einem seiner seltenen DJ-Mixsets trat er als erster Portugiese und Angolaner überhaupt im szenischen Boiler Room auf; bis heute schaffte er es bereits in fünf Sessions in London, Paris und Lissabon. Mit seinen Songs und Collaborations ist er in den Katalogen von Labels wie Soundway, Crammed, Fabric oder BBE vertreten. Ende 2014 war er eingeladen, das Oppening zu vier Konzerten des Belgiers Stromae auf seiner Tour durch die Städte Paris, Brüssel, Amsterdam und Rennes zu geben, und er machte einen Remix von „Heavy Seats of Love“ aus dem ersten Soloalbum von Damon Albarn. Im Februar 2015 empfing er die legendären Nonono Nº 1 in seiner Garage, wo sie die neue im April 2016 veröffentlichte Platte „Konono Nº1 Meets Batida“ aufnahmen. Im selben Jahr begann er neben anderen Festivals in Portugal mit der Einladung zu zwei DJ-Sets beim brasilianischen Karneval, eins in São Paulo und das andere auf dem Festival Rec Beat in Recife. [Anm. d. Interviewerin Marta Lança; aus dem Portugiesischen von Tobias Hansen].

[2] In Berlin tätiger portugiesischer Künstler. Schwerpunkt seiner Arbeit sind kollektive Technologien und Erinnerungspraktiken sowie deren Einfluss auf das öffentliche und individuelle Gedächtnis der Geschehenisse der Vergangenheit. [Anm. d. Interviewerin Marta Lança; aus dem Portugiesischen von Tobias Hansen].