Jasmine Rouamba

© Jasmine Rouamba

Jasmine Rouamba
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„Es gibt Straßennamen, mit denen man noch eine kapitalistische, koloniale ‚Erfolgsgeschichte‘ feiert.“

INTERVIEW: Anke Schwarzer

Welche Orte und Räume in Hamburg kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie an die koloniale Geschichte und Gegenwart denken?

 

Die Speicherstadt, die Bismarck-Statue, die Hamburger Universität in der Edmund-Siemers-Allee und komische Straßennamen in der HafenCity.

Haben Sie einige Beispiele für diese Straßennamen?

 

Ich kann mir die Namen schlecht merken, aber es gibt die Magellan-Terrassen, den Vasco-da-Gama-Platz oder auch die Shanghaiallee und die Tokiostraße. Aus welcher Perspektive wurden diese Straßen wohl so benannt? Welches Anliegen steht dahinter? Soweit ich weiß, wurde Kolonialismus bei der Namensgebung von Straßen und Gebäuden manchmal einfach übersehen. An anderen Stellen aber gibt es bestimmte Cluster von Straßennamen, mit denen man noch aktiv eine kapitalistische, koloniale „Erfolgsgeschichte“ feiert. Es gibt viele Orte, an denen kein Schild hängt, an dem durch die Information und Kontextualisierung deutlich würde: „Wir respektieren, was die Vergangenheit für heute bedeutet.“

Der Zusammenhang von Ausbeutung, Vernichtung und Profit wird oft ausgeblendet, obwohl es ein historischer Tatbestand ist. Warum gibt es häufig keine Hinweise darauf, ob es eine reflektierte Auseinandersetzung zu einem Gebäude oder zu einem bestimmten Straßennamen gab oder nicht? Wenn kein Informationsschild angebracht ist, dann gibt das ein komisches Gefühl. Dann würde ich nachschauen, was es mit diesem Ort oder jenem Namen auf sich hat. 

„Für mich wäre es wichtig, dass sich auf gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Ebene Positionen und Praktiken etablieren, die kolonial-rassistische Ausbeutungsverhältnisse kategorisch ausschließen. Und zwar für jede Form der Ausbeutung.“

Sie haben das Hauptgebäude der Hamburger Universität in der Edmund-Siemers-Allee erwähnt. Inwiefern sehen Sie bei ihm koloniale Bezüge?

 

Ich habe mich immer gewundert, warum das Gebäude so aussieht, wie es aussieht. Es gibt eine bestimmte Ausstrahlung von vor allem älteren Gebäuden, die mich verunsichert. Ähnlich ist es auch mit dem Stil von Bauten aus dem Nationalsozialismus. Und auch hier habe ich mich gefragt, welche Geschichte damit verknüpft ist. Dieses Unihauptgebäude ist ein Kolonialinstitut gewesen und ohne alle Details zu kennen, etwa was dort gemacht und gelehrt wurde, steht am Ende des Tages für mich die Frage, was dort heute für die Öffentlichkeit an Informationen über das kolonial-rassistische Erbe präsentiert wird.

Das ist wichtig für Menschen, die auch heute noch von der kolonial-rassistischen Ausbeutung betroffen sind und für die, die davon profitieren. Und es stellt sich die Frage für die Stadt: Bedeutet es etwas, auf welchen Grundlagen der Reichtum entstanden ist? Und alle könnten sich fragen: Findest du es richtig, dass du über den Teil der gewaltvollen Historie der kolonial-rassistischen Ausbeutung nicht informiert wirst? Die Intransparenz darüber, dass kolonial-rassistische Ausbeutung nicht durchgängig in der Stadt markiert wird, gibt ein mulmiges Gefühl, weil damit auch klar ist, dass es kein eindeutiges Bekenntnis unserer Gesellschaft gegen Rassismus gibt. Vor allem dann, wenn eine eindeutig kolonial-rassistische Namensgebung verteidigt und aufrechterhalten wird, wie zum Beispiel beim Afrikahaus.

Wie sollte über die kolonialen Spuren im Stadtraum informiert werden? 

 

Gewaltvolle Kapitel sollten auch erzählt werden. An den Orten, an denen eine Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Rassismus wichtig ist, sollte es Hinweise geben.  

Welche Möglichkeiten sehen Sie für sich persönlich oder auch für andere Menschen mit Rassismuserfahrungen mit diesen Spuren umzugehen?

 

Ich habe für mich persönlich festgestellt, dass mir eine Frage ganz besonders wichtig ist: Wie ist es passiert, dass ich in Hamburg gelandet bin und was hat das mit Kolonialismus und Rassismus zu tun? Darauf eine möglichst klare und bewusste Antwort zu haben, eröffnet einen Raum des Umgangs damit.

Meine Wurzeln sind unter anderem auf Puerto Rico, das nicht nur ein spanisches, sondern im 17. Jahrhundert auch ein deutsches Kolonialgebiet von Brandenburg-Preußen gewesen ist, zumindest ein Teil davon im Norden, die sogenannte Krabbeninsel. [1]

Es gab dort über Jahrhunderte hinweg im kolonialen Kontext eine Kontinuität von Besetzung, Ausbeutung, Vernichtung und Vertreibung. Die USA warfen Bomben ab und hinterließen Umweltschäden mit Folgen für die Gesundheit der Menschen vor Ort. Auch die Deutschen haben dort Schießübungen gemacht; es gab im 21. Jahrhundert eine deutsche Militärpräsenz. 

Diese Kontinuitäten, das, was mit dem Land passiert, schreiben sich in die Biographien ein und setzen sich in den Generationen fort. Unter anderem die Generation meines Vaters wurde vom US-Militär angeworben. Viele Menschen wie mein Vater entschieden sich für das US-Militär, weil es eine Alternative zur Armut war, die ihre Wurzel unter anderem in kolonial-rassistischer Ausbeutung hat. Mit dem US-Militär ist mein Vater in Deutschland gelandet. Hier wiederum machen wir als Familie Rassismuserfahrungen auf allen Ebenen des alltäglichen Lebens und diese Erfahrungen werden Teil meiner Sozialisation, meines Aufwachsens und so ein Teil meiner Biographie. Rassismuserfahrungen sind für mich eine Fortführung kolonial-rassistischer Praxen. Jeden Tag aufs Neue. Sie hängen unmittelbar miteinander zusammen.

In Hamburg angekommen wird mir als erwachsene Person dann klar, wie wenig diese kolonial-rassistischen Hinterlassenschaften im Stadtbild aufgearbeitet und transparent sind. Wie bereits erwähnt gehört für mich Kolonialrassismus reflektiert, benannt und dass die Stadt Hamburg sich dazu eindeutig positioniert. Für mich persönlich mache ich es so, mir Dinge anzuschauen und mein Wissen und meine Fragen mit anderen zu teilen. Dabei ist für mich das Ziel kolonial-rassistische Historie, in welcher Form auch immer, zu benennen und transparent zu machen, sodass Menschen die Geschichte dazu kennen und sich dann selbst auch dazu positionieren können. Eine persönliche Konsequenz ist zum Beispiel, dass wir als Familie bestimmte Einrichtungen wie Hagenbecks Tierpark nicht besuchen. Zunächst nicht, weil wir nicht viel davon halten, eingesperrte Tiere zu betrachten, aber zum anderen auch, weil dort die sogenannten „Völkerschauen“ stattgefunden haben. Bis heute hat dazu keine kritische Aufarbeitung stattgefunden.  

Welche Ideen haben Sie, die Stadt zu dekolonisieren ohne sich an diesen alten Spuren abzuarbeiten? Welche Orte gibt es, die Kraft geben können?

 

„Für mich wäre es wichtig, dass sich auf gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Ebene Positionen und Praktiken etablieren, die kolonial-rassistische Ausbeutungsverhältnisse kategorisch ausschließen. Und zwar für jede Form der Ausbeutung.“ Orte der Kraft sind für mich Orte, an denen eine würdevolle Erinnerungskultur bereits stattfindet, zum Beispiel am Ramazan-Avcı-Platz. Oder Orte, an denen Menschen aus einer antirassistischen Haltung heraus Stadtpolitik betreiben oder selbständig im Rahmen von Kunstaktionen kreativ mit dem Stadtbild umgehen.

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Fußnoten

[1] Em 1682 a Dansk Vestindiske Kompagni (Companhia Dinamarquesa das Índias Ocidentais) tomou posse da ilha de Vieques, atribuindo-lhe o nome de Krabbeninsel ("ilha dos caranguejos"). Entre 1689 e 1693, a ilha foi anexada por Brandeburgo, sendo administrada pela Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie (Companhia Brandeburguesa da África).