Elaine Thomas

© Trish P. Schultz

Elaine Thomas
+

„Ich allein könnte schon über so viele persönliche Erfahrungen mit Rassismus ein ganzes Buch füllen – als Künstlerin, als Frau, als Black Woman in Hamburg.“

Interview: Anke Schwarzer, 2020/2021

Welche Orte und Räume in Hamburg kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie an die koloniale Geschichte und Gegenwart denken?

 

Der Hauptpunkt ist für mich der Hafen mit der Speicherstadt. Der Hamburger Hafen war das Zentrum des kolonialen Handels. Zucker zum Beispiel wurde von den Plantagen hier hergebracht und weiterverarbeitet. Es war der Zucker, den wir – ich rede jetzt von meinem Volk – als Sklaven angebaut haben. Die Baumwolle, die hier herkam, wurde als Billigkleidung zurück nach Afrika transportiert. 

Auch Schnaps und Waffen wurden exportiert. Versklavte Menschen wurden auch mit deutschen Schiffen in die Karibik verschifft.

„Geschichte muss erzählt werden – und zwar die ganze Geschichte."

Wie präsentiert Hamburg diese Orte im Lichte der kolonialen Geschichte – etwa im Stadtmarketing? Wie denken Sie darüber?

 

Es gibt wenige Punkte rund um den Hafen und die Speicherstadt, die diese koloniale Geschichte wahrhaftig präsentieren. Woher kam der größte Gewinn dieser Kolonialmetropole mit dem größten Lagerkomplex der Welt? Es wird nicht darüber informiert, woher die Rohstoffe und Waren kamen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurden. Wie viele Leichen gibt es, wie viele Menschen haben unter diesem Handel gelitten?

Auch dass ein Großteil der Soldaten vom Hamburger Hafen mit der Woermann-Schiffslinie nach Deutsch-Südwestafrika verschifft wurde, wird nicht erwähnt. Dabei waren sie am Völkermord an den Ovaherero und Nama beteiligt. Die Hamburger Universität – das frühere Kolonialinstitut – und das ehemalige Völkerkundemuseum, das jetzt den neuen Namen Museum am Rothenbaum - Kulturen und Künste der Welt (MARKK) trägt, machen peu à peu ganz zarte Versuche, etwas an diesem einseitigen Bild zu ändern, aber die Effekte sind sehr gering. Das ist meine Meinung.

Wie sollte Ihrer Ansicht nach heute mit diesen kolonialen Spuren im Stadtraum umgegangen werden?

 

Aktuell ist das Bismarck-Denkmal sehr im Gespräch. Ich bin keine Radikale, ich finde alte Denkmäler sollten nicht unbedingt umgestürzt werden. Geschichte muss erzählt werden – und zwar die ganze Geschichte. Wie man die Geschichte besser erzählen kann und dies auch so groß machen kann wie dieses riesige Denkmal, das überlasse ich den Experten. Aber die verschiedenen Orte in der Stadt, zum Beispiel wo der Afrikanische Hilfsverein 1918 gegründet wurde, müssen markiert und umfassend erklärt werden.

Über welche Wege würden Sie diese Informationen vermitteln?

 

Ich bin seit 42 Jahren hier in Deutschland. Ich bin damals als Künstlerin, als Musical-Star, angekommen. Ich habe zwei afrodeutsche Kinder, die jetzt junge Männer sind. Als ich sie großgezogen habe, habe ich gemerkt, dass es sehr wenig afrodeutsche Geschichte gab, die ich ihnen weitergeben konnte. So habe ich über die Jahre angefangen zu recherchieren und zu lesen. Es gibt wenig Material und Stoff. Es gibt natürlich schon Leute, die Bücher geschrieben haben, aber das Wissen sollte dem Hamburger Publikum zur Verfügung gestellt werden. Und zwar in einer Form, die verständlich ist, in der die Dinge nicht so stark akademisch dargestellt werden, damit die meisten Leute nicht sagen: „Oje, das ist für mich zu anstrengend.“

Bilder sagen mehr als tausend Worte: Bilder, wie auch die Kunst, sind sehr wichtig. Sie transportieren Gedanken, sie beeindrucken und hinterlassen wichtige Spuren. Ich möchte gerne Schwarze – afrodeutsche – Geschichte und auch Widerstandsgeschichte vermitteln und dafür einen Raum bieten. Ich habe eine Menge Material gesammelt, das ich präsentieren könnte. Die zweitgrößte afrodeutsche Community in Deutschland braucht Geschichte und auch Orte, wo sie hingehen, sich treffen und ihre Geschichte lernen kann. Sie braucht einen Ort, wo Informationen, Statistiken, Biografien, Bilder, Geschichte, Literaturhinweise und so weiter zugänglich sind. Ich möchte gerne einen Pavillon errichten, wo das gesammelte Material für ein Hamburger Publikum zugänglich gemacht wird. 

Wo wäre für Sie der passendste Ort für einen solchen Pavillon?

 

Irgendwo am Hafen oder in der HafenCity, da wo heute gebaut wird. Eine andere Möglichkeit, die ich sehr gut fände, wäre das Gelände rund um das Auswanderermuseum auf der Veddel. Da gibt es viel Platz, Infrastruktur; es gibt die S-Bahn und die Leute sind es gewohnt, dort hinzugehen. Und es wäre immer noch in Hafennähe. Das würde sehr gut passen.

Inwieweit sehen Sie auch Möglichkeiten dekoloniale, empowernde Räume zu entwickeln, ohne sich dabei an den alten kolonialen Spuren in der Stadt abzuarbeiten? 

 

Die Geschichte muss erzählt werden, damit die Menschen informiert sind, denn viele Menschen haben keine Ahnung davon. Weder von den Menschenzoos in Hamburg noch von kolonialer Geschichte allgemein. Das muss erzählt werden. Es ist auch wichtig, dass Leute mit afrikanischem Migrationshintergrund aus den Black Communities ihre eigene Geschichte erzählen und sich bilden. Als Künstlerin sehe ich zudem viele Möglichkeiten Schwarze Geschichte und Erfahrungen über Gesang, Tanz, Spoken Word Poetry , Kunst und verschiedene Ausdrucksweisen zugänglich zu machen. Dafür steht seit Jahrzehnten der Black History Month als standard procedure zur Verfügung.  

Ich möchte auch über Rassismus in Hamburg sprechen, weil viele meinen, dass es den nicht mehr gibt. Aber ich allein könnte schon über so viele persönliche Erfahrungen mit Rassismus ein ganzes Buch füllen – als Künstlerin, als Frau, als Black Woman in Hamburg. Diese Themen müssen angesprochen werden! Sie reichen vom Racial Profiling bis hin zu Fragen, warum Schwarze keine Wohnungen finden und kaum in den Regierungsvierteln, in den Schulen und der Polizei vertreten sind.

Das ist wichtig, damit wir hier eine gewisse Anerkennung in der Gesellschaft bekommen. Die Frage, die sich angesichts zunehmender rechtsradikaler Einstellungen, die man bekämpfen muss, auch stellt: Wenn ich Rassismus erlebe – wem erzähle ich das? Wenn ich auf der Mönckebergstraße beschimpft werde, wenn Sachen nach mir geworfen werden. Wem darf ich es erzählen – auch wenn ich es schon hundertmal erlebt habe? In der White Community erlebt man das nicht so stark, aber man darf es nicht kleinreden. Gewalt und Beleidigungen: Es ist nicht weniger, sondern mehr geworden. Ich bin 63 Jahre und ich habe momentan das Gefühl, dass wir in Sachen Rassismus rückwärtsgehen.