Loki Schmidt Haus / Botanisches Museum

© Nicole Benewaah Gehle 2021

Loki Schmidt Haus / Botanisches Museum

Von Kautschuk, Kokosnüssen und Kommerz

Daniel K. Manwire & Anke Schwarzer
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Das Loki Schmidt Haus ist ein Museum für Nutzpflanzen der Universität Hamburg. Es liegt im Botanischen Garten in Klein Flottbek und beherbergt eine botanische Sammlung mit etwa 50.000 Objekten. Sowohl das Museum als auch der Garten sind sehr eng mit Hamburgs Kaufleuten, Kommerz und Kolonialismus verflochten.

Nach ein paar Monaten sprossen Ohene Nyarkos Kakaobäume und trugen goldene, grüne und orangefarbene Früchte. Die Samen hatte er aus Osu. Es heißt, dort hat jemand eine neue Pflanze mitgebracht, die angeblich auch hier gut wachsen soll. Die Dorfbewohner*innen hatten so etwas noch nie gesehen, und sie waren erpicht darauf, die Schoten zu berühren und zu öffnen, bevor sie reif waren, schreibt Yaa Gyasi in ihrem Roman „Heimkehren“. „Aber werden wir davon leben können?“, fragten die Leute Mitte des 19. Jahrhunderts in dem Dorf bei Kumasi, als sie die kleinen lila Bohnen in dem weißen Fruchtfleisch fanden und sie auf einem Bett von Bananenblättern ausbreiteten [1].
Kakaofrüchte in Kumasi, Ghana. Foto: © Daniel K. Manwire
Beiläufig beleuchtet die junge Autorin Yaa Gyasi in ihrem Roman rund um den Black Atlantic die Einführung der in Mittelamerika heimischen Kakaopflanze im heutigen Ghana. Heute zählt das westafrikanische Land zu den größten Kakao-Exporteuren der Welt. Kakao-Exemplare (Theobroma) zählen zu den am häufigsten vertretenen Pflanzengattungen im afrikanischen Teil der Botanischen Sammlung des Loki Schmidt Hauses [2]. Das Museum für Nutzpflanzen der Universität Hamburg blickt auf eine lange Geschichte zurück und seine historische Sammlung ist eng mit Hamburgs Kolonialismus verflochten [3].

Galläpfel und Coffestrauch

Kakao gilt neben Kaffee, Kautschuk und Kokosnüssen als typische „Kolonialpflanze“. Neben Gold, Silber und Elfenbein zählten pflanzliche Produkte zu den wichtigen Importwaren der kolonialen Kaufleute. Färbepflanzen wie Indigo, Terpentin und andere Harze, Baumwolle, Tabak und Zuckerrohr: Viele der Nutzpflanzen wurden in Plantagen in den Amerikas von versklavten Menschen aus Afrika angebaut, gepflegt, geerntet und verarbeitet, bevor sie in den Hafenstädten Hamburg und Altona ankamen. 

„Sollte es ferner dem gebildeten Kaufmann, wenn nicht nützlich, doch erfreulich seyn, die Gewächse kennen zu lernen, deren Producte ihn täglich beschäftigen?“ [4], fragte der Mediziner und Botaniker Johannes Flügge 1810, als er seinen Plan für einen botanischen Garten vorlegte. „Welchen Werth legen die Besitzer eines Treibhauses nicht auf einen Coffestrauch oder eine Zuckerpflanze. Sollte es ihnen minder angenehm seyn, die mannigfaltigen Gewächse im lebenden Zustand zu betrachten, die ihnen die verschiedenen Arten der Baumwolle und des Tabacks, Thee, Reis, Cappern, Corinthen, Pistacien, Indigo, Orleans, Krapp, Gallapfel, Gelbbeeren, Vanille, Ingwer, Süßholz, Soda, Gummata und Harze, Terpentin, Campher, Mahagony, Campeschen- und Rosenholz etc. liefern? Läßt sich berechnen oder voraussehen, wie nützlich jemandem die Anwendung dieser Kenntnisse werden könnte?“ [5]. Sein am Alsterufer errichteter Botanischer Garten bestand keine drei Jahre. Die französische Armee machte im Mai 1813 die Stauden und Gehölze dem Erdboden gleich. 

Vom privaten Garten zum Staatsinstitut und Museum

Erfolgreicher war wenige Jahre später der Professor für Naturlehre Johann Lehmann. Der Senat hatte ihn 1818 ans Akademische Gymnasium berufen, einem Vorläufer der erst 1919 gegründeten Hamburger Universität. Im Herbst 1821 pflanzte er die ersten Bäume im Botanischen Garten. Heute befindet sich dort der Park Planten un Blomen

1857 erhob Hamburg den Botanischen Garten zum Staatsinstitut. Lehmanns Vorhaben, ein Botanisches Museum zu errichten, konnte er allerdings nicht umsetzen. Schließlich gelang es erst 1883, nachdem die Stadt zwei große botanische Sammlungen wohlhabender Bürger erhalten hatte, dem Professor an der Gelehrtenschule des Johanneums, Richard Sadebeck. Die Eröffnung habe Kaufleute und Schiffskapitäne motiviert, weitere Objekte für die Sammlungen des Botanischen Museums zu stiften, so die Biologin Gabriele Kranz, die an der Hamburger Universität zur Rolle Hamburger Kolonialkaufleute bei der Gründung des Museums forscht. „Außerdem“, schreibt Kranz weiter, „brauchten die Hamburger Handelshäuser eine unabhängige Referenzsammlung und ein Prüflabor, um die Klassifizierung und Qualität von Pflanzen und deren Produkten zu gewährleisten und förderten so Schenkungen an das Museum“ [6].

Ein Geschenk von Adolph Woermann: Die Luftwurzelröhre einer Würgefeige aus Kameruns Regenwald im Loki Schmidt Haus. Foto: © Anke Schwarzer

Hafen, Handel und Industrie

Hamburgs Hafen war schon lange Deutschlands Tor zu kolonialen Welt gewesen, doch mit Beginn der reichsdeutschen Besetzung und Kolonisierung von Gebieten in Afrika, Asien und Ozeanien ab 1884 stieg die Einfuhr von Rohstoffen, Lebens- und Genussmitteln beträchtlich – und mit ihr der Zuwachs an Objekten für das Museum. Noch heute prangt die gigantische Luftwurzelröhre einer Würgefeige aus Kamerun inmitten des Museums. Adolph Woermann schenkte sie 1889 dem Museum. Der Kaufmann, Reeder und Politiker, der die Kolonisierung Kameruns vorangetrieben hatte, ließ sie in mehreren Teilstücken auf einem seiner Dampfschiffe nach Hamburg bringen.
Die Zahl der Objekte aus Afrika, insbesondere aus den deutschen Kolonien Kamerun und Deutsch-Ostafrika, sprang nach der Gründung des Kolonialinstituts 1908 weiter rasant nach oben. Jetzt lieferten nicht mehr nur wohlhabende Kaufleute, sondern auch Staatsbotaniker in den Kolonien des Kaiserreichs [7].
Im Herbst 1821 pflanzte Professor Lehmann im Botanischen Garten eine Ahornblättrige Platane, heute steht der alte Baum in der Nähe des CCH-Congress Center Hamburg. Foto: © Anke Schwarzer

Das Museum beherbergt auch Objekte von Amalie Dietrich. Zehn Jahre lang hat sie im Auftrag des Unternehmers Johan Cesar Godeffroy in Australiens Nordosten Tiere und Pflanzen gesammelt, gepresst, konserviert, ausgestopft. Jahrein, jahraus schickte sie präparierte Vögel und Spinnen nach Hamburg, ebenso Belegexemplare für Gräser, Algen, Farne und Moose. In den Kisten für das Museum Godeffroy befanden sich auch Schädel und Skelette der Birri Gubba und anderer Bewohner*innen rund um Bowen in Queensland, die durch die europäischen Siedler*innen vertrieben und getötet wurden. 1886 kaufte die Stadt Hamburg Teile der privaten Museumssammlung auf; Teile der Dietrichschen botanischen Sammlung befinden sich heute im Loki Schmidt Haus [8].  

Gewalt im Arbeitsregime kolonialer Plantagen

Hamburg war nicht nur Handelsstadt, sondern entwickelte sich auch zu einem wichtigen Industriestandort. Schokolade, Jutesäcke und Gummi: Pflanzliche Rohstoffe wurden hier veredelt und weiter verarbeitet. Ölmühlen pressten Kopra, das getrocknete Fleisch der Kokosnüsse sowie Palmfrüchte und -kerne. Während in Hamburg die Produktion von Seife, Margarine, Kosmetika, Stearin und Glyzerin anlief, kam die traditionelle Palmölherstellung in Westafrika fast zum Erliegen. Zunehmend wurden Kautschuk und Palmfrucht nicht mehr aus Wildsammlungen gewonnen, sondern in großen Plantagen. Vertreibung, Zwangsarbeit, Verarmung waren die Folge. Gewalt prägte die kolonialen Arbeitsregime. 

Sprechstunde in der Börse und andere Dienstleistungen

Das Botanische Museum Hamburg stand im Dienste dieser Unternehmen: Seine Mitarbeiter*innen berieten Handelsfirmen, untersuchten Stichproben aus Kaffeesäcken und erstellten Gutachten zu pflanzlichen Rohprodukten. Sie prüften Schädlingsbefall und Saatgut. 1885 richtete das Museum ein „Laboratorium für Waarenkunde“ ein. In den Folgejahren entstanden eine „Abtheilung für Samenkontrolle“ und eine „Station für Pflanzenschutz“ zur Kontrolle im Hafen angelandeter pflanzlicher Güter. Die Abteilungen wurden 1912 im Staatsinstitut für Angewandte Botanik zusammengeführt. Es unterhielt an der Hamburger Börse ein Büro, um die Kaufleute auch direkt vor Ort zu beraten. 

Ehemaliges Gebäude des Botanischen Staatsinstituts in der Jungiusstraße. Foto: © Anke Schwarzer

Die kolonialen Hinterlassenschaften sind vielfältig – sowohl für das Museum und den Garten, als auch für die heutige Pflanzenwissenschaft und die Wissenschaftsgeschichte. Wie lässt sich der eurozentrische koloniale Blick bei der Benennung von Pflanzenarten oder der Nutzenanalyse bestimmter Früchte in den kolonisierten Gebieten dekonstruieren? Welcher Umgang wird mit der Aneignung und Ausbeutung von indigenem Wissen gefunden? Und wie kann die postkoloniale Auseinandersetzung rund um Archivalien und Sammlungsgut thematisiert und einer Öffentlichkeit vermittelt werden, ohne rassistische Bilderwelten und Wissenssysteme zu reproduzieren? Wie werden Kooperationen mit botanischen Instituten in ehemals kolonisierten Ländern gestaltet?

Umgang mit den kolonialen Hinterlassenschaften

„Als Museumsteam heute befinden wir uns mitten in einem Prozess der Sensibilisierung und Selbstreflexion in der Betrachtung und Bewertung unserer Sammlungsobjekte“, sagt Petra Schwarz, die das Loki Schmidt Haus leitet [9]. Auch bei den Archivalien, etwa Großbild-Dias, sei man aufmerksamer geworden. 

Viele Darstellungen könnten unter „Rassismus in der visuellen Kultur“ eingeordnet werden. Darüber hinaus wurde die Applied Botany Collection  der Universität Hamburg als eine von 25 Einrichtungen in Deutschland für die Pilotphase des Vorhabens der Kultusministerkonferenz „Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ ausgewählt. Dies sei ein weiterer Baustein im Umgang mit den kolonialen Hinterlassenschaften, so Schwarz.

Und der Kakao? Damals wie heute fragen sich viele Menschen in Ghana, wie sie angesichts des niedrigen Kakaopreis’ über die Runden kommen sollen. Der Preis werde den produzierenden Ländern diktiert, so Sandra Kwabea Sarkwah, Projektleiterin bei der Nichtregierungsorganisation SEND GHANA, das sei „eine neue Form von Kolonialismus“ [10].

Die kolonialen Spuren in Pflanzenwissenschaft und Agrarwirtschaft sehen wir noch heute. Sie sind vielfältiger Natur und es wird sicher einige Zeit und viele Anstrengungen benötigen, diese abzubauen.

 

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Fussnoten

[1] Gyasi, Yaa (2017): Heimkehren.  Köln: DuMont Verlag. S. 206 und 208.

[2] Kranz, Gabriele (2016): Hamburg's Botanical Museum and German colonialism: nature in the hands of science, commerce and political power. S. 71. In: Ramutsindela, M., Miescher, G., Boehi, M. (Hg.): The Politics of Nature and Science in Southern Africa , Basler Afrika Bibliographien, 2016, S. 59–86.

[3] Das Museum wurde 2006 und der Botanische Garten der Universität Hamburg 2012 nach Loki Schmidt (1919 - 2010) benannt, einer Lehrerin und Botanikerin aus Hamburg. Der Botanische Garten der Universität Hamburg wurde 1979 von seinem alten zentrumsnahen Standort nach Klein Flottbek verlegt. Auch das Museum hat mehrere Umzüge hinter sich.

[4] Flügge, Johannes (1810): Plan zur Anlegung eines botanischen Gartens nahe bey Hamburg . Hamburg, S. 8 f., zitiert nach Poppendieck, Hans-Helmut und Engelschall, Barbara (2020), S. 259.

[5] Ebd.

[6] Kranz, Gabriele (2016), S. 61.

[7] Kranz, Gabriele (2016), S. 64 und 70.

[8] Ausführlich: Die „Frau Naturforscherin“. Amalie Dietrich (1821–1891), in: Hielscher, Kej und Hücking, Renate (2002): Pflanzenjäger. In fernen Welten auf der Suche nach dem Paradies. München: Piper Verlag. S. 131–160 und Scheps, Birgit (2013): Skelette aus Queensland , in: Stoecker, Holger; Schnalke, Thomas; Winkelmann, Andreas (2013): Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen. Berlin: Christoph Links Verlag. S. 130–145.

[9] Informationen per E-Mail im Mai 2021.

[10] Inkota: Online-Veranstaltung Durch den Kakao. Botanik, Kolonialismus, Gegenwart. 18. November 2020.

Zuletzt geändert am: 24/04/2024 12:25:03