Lucía Charún-Illescas

© Privat

Lucía Charún-Illescas
+

„Geld stinkt nicht – oder aus Schiete Gold machen.“

INTERVIEW: ANKE SCHWARZER, 2021

Welche Orte und Räume in Hamburg kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie an die koloniale Geschichte und Gegenwart denken?

 

Ich denke an die Handelsfirma von Ferdinand Laeisz, an seine Reederei und Versicherung. Und es gibt die Laeiszhalle und die Laeiszstraße auf St. Pauli. Mir kommt auch die Ohlendorff’sche Villa und die Heinrich-von-Ohlendorff-Straße in den Sinn, ebenso wie die Niendorfer Mutzenbecher-Villa und das Guanofleet, ein Kanal in Hamburg-Steinwerder. Das kennzeichnet für mich die Beziehung zwischen Hamburg und Peru. Die Geschichte beginnt mit Alexander von Humboldt und seiner Forschungsreise durch das vom Spanischen Reich kolonisierte Amerika. 

„Ich möchte im Grunde genommen erzählen, wie eine wissenschaftliche Expedition zur Grundlage für eine neokoloniale Beziehung wurde.”

Das ist mir wichtig und das wurde auch bedeutend für die spätere Arbeitsmigration nach Peru. 

An Humboldt und die Folgen seiner Reise von 1799 bis 1804 denkt man, wenn es um post-koloniale Erinnerungsorte geht, die die Stadt Hamburg und Peru verbinden. 1802 war er fast drei Monate in Peru. In El Callao, im Hafen von Lima, so schreibt er in seine Tagebücher, hat er eine Probe von Guano aus den Islas de Chincha erhalten. Dieser Vogelkot wird als Dünger in der Landwirtschaft verwendet. Humboldt schickte diese Probe zur Untersuchung nach Frankreich und das Ergebnis war, dass der sogenannte Peru-Guano reichhaltiger an Mineralien und Phosphaten war als der Dünger, der zu dieser Zeit in Europa eingesetzt wurde. 

Und wie wirkte sich dieses Untersuchungsergebnis auf Hamburg aus?

 

„Aus Schiete Gold machen“: 1841, rund dreißig Jahre nach dieser Entdeckung, begann der Guano-Export nach Hamburg, wo der Vogelkot in Steinwerder gelagert wurde. Dort war der Guano-Geruch so schlimm, dass sich andere dort ansässige Firmen beschwert haben. Der Ammoniak und die Harnsäure riechen penetrant und sind ätzend.

Peru war 1821 unabhängig geworden und dachte, dass sich mit dem Guano-Handel Geld verdienen ließe. Die Regierung, verarmt durch Schulden zur Finanzierung der Unabhängigkeit, erteilte verschiedenen Hamburger Handelshäusern Kontrakte. Sie konnten damit gegen Kommissionsgebühren Guano-Handel treiben. Allein 1870 wurden 520.000 Tonnen Peru-Guano in Deutschland eingeführt. Die hanseatischen Kaufmannsherren wussten, wie man mit Ländern, die bis vor nicht allzu langer Zeit Kolonien waren, Geschäfte macht. 

Welche Hamburger Handelshäuser betrieben diese Guano-Geschäfte?

 

Um 1861 importierte das Handelshaus J.D. Mutzenbecher und Söhne Peru-Guano nach Deutschland, Dänemark, Schweden, Norwegen und Russland. Sie wurden sehr reich mit diesem Handel. Ich habe auch ein Gedicht über Heinrich Ohlendorff und seinen Bruder Albertus, die Peru-Guano importierten, gefunden: „Es waren zwei Brüder kühn und keck, die handelten mit Vogeldreck. Der Erfolg, er war nicht ohne, denn bald waren sie Barone.“ Sie wurden Guanoritter genannt und zählten einst zu den reichsten Familien der Hansestadt. Sie bauten Hamburgs erstes Kontorhaus mit Paternoster und hatten Niederlassungen in Hamburg, Emmerich und Antwerpen. 

In einem Brief von Ferdinand Laeisz vom 30. Januar 1865 an das peruanische Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten erwähnt er den Importeur Ohlendorff und nennt die Preise für den Verkauf des Peru-Guano in preußischen Pesos. Laeisz transportierte nicht nur mit seiner Schiffsflotte Peru-Guano zu verschiedenen Häfen – er war zur gleichen Zeit auch der Hamburger Konsul von Peru. 

In Peru wurde die Sklaverei 1854 abgeschafft. Wer sollte jetzt Guano auf den Inseln abbauen? Es gab keine Sklaven mehr. Die Arbeit war sehr, sehr hart. Guano-Abbau erfolgt in Handarbeit – bis heute. Die ehemaligen Sklavenhändler in Peru kamen auf die Idee, billige Arbeitskräfte aus anderen Ländern zu holen. Und so kamen zwischen 1849 und 1874 etwa 87.000 Chinesen, die in abwertender Weise als sogenannte Kulis bezeichnet wurden, aus Macao, Hongkong und Kanton. Sie wurden nach Peru gebracht, um in der Landwirtschaft und im Guano-Abbau zu arbeiten. Es war eine Art Halbsklaverei. Sie mussten einen Vertrag unterschreiben und meist für acht Jahre und für sehr wenig Geld arbeiten. 

Bedeutet das, dass die Hamburger Kaufleute, die vor 1854 mit Guano handelten, auch in Perus Sklaverei verstrickt waren?

 

Die Hamburger Kaufleute haben an den Bedingungen der Halbsklaverei teilgenommen und von dieser Ausbeutung profitiert. Neben den billigen chinesischen Arbeitskräften gab es auch Bauern aus den Anden, die oft unter falschen Versprechungen angeworben und manchmal sogar entführt wurden. In Chincha-Festland haben ehemalige versklavte Menschen afrikanischer Abstammung gelebt – ich habe dort geforscht, aber wenig gefunden.

Finden Sie heute Hinweise auf diese Geschichte, wenn Sie die Laeisz-Halle oder die Ohlendorff’sche Villa besuchen?

 

Ja, ich bin dort gewesen. Es gibt dort überhaupt nichts. Ich glaube, die Zusammenhänge sind für viele Leute unbekannt. Sie kennen die Händler, Kaufleute und Mäzene. Aber die Geschichte, auch diese Guano-Geschichte, ist verloren gegangen. Ich bin keine Historikerin, ich schreibe Romane. Aber die Geschichte hat mich interessiert, weil ich in Hamburg wohne. 

Welche Möglichkeiten sehen Sie an den erwähnten Orten oder auch im Museum der Arbeit, an diese Geschichte zu erinnern und zu informieren?

 

Natürlich sollte darüber gesprochen werden. Man könnte in der Laeiszhalle, die wunderschön ist, ein Plakat oder eine Tafel aufhängen. Die Biographie vieler Kaufleute ist nicht komplett. Man erfährt nicht, wie solche Leute reich geworden sind und man hört nichts vom Leiden der Menschen. Man kann auch sagen „Geld stinkt nicht“.