Jasmin Alley

© Arne Bosselmann

Jasmin Alley
+

„Themen finden, die nicht in Referenz zu Europa oder zu den Kolonisierenden stehen“

INTERVIEW: Anke Schwarzer

Welche Orte in Hamburg fallen Ihnen ein, wenn Sie an die koloniale Geschichte und Gegenwart denken?

 

Mir fallen natürlich viele unterschiedliche Orte ein: das Bismarck-Denkmal, das Chilehaus, der Hafen. Ich finde es richtig, diese kolonialen Orte zu benennen, aber ich habe noch einmal darüber nachgedacht, wie eine Stadt wie Hamburg mit dem eigenen kulturellen Erbe umgeht und in welchem Spannungsverhältnis zwischen dem Erinnern und dem Vergessen dies steht. Vor allem die Museen und ihre Sammlungen sind – etwas überspitzt formuliert – als Hüter des kulturellen Erbes da, vor allem die historischen Museen. 

Da ich mich besonders für Sammlungen und Museen interessiere, sind für mich gerade diese Orte aus einer postkolonialen und kolonialen Perspektive interessant. Diese Orte verhandeln das kulturelle Erbe. Das, was das Kontinuum von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft integriert, ist die städtische Erzählung. Da ist es dann interessant, was und wie erinnert und was eben nicht erinnert wird.

Und wie verhält es sich in Hamburg damit, was erinnert wird und was vergessen wird? Könnten Sie das an einem Beispiel oder anhand eines Museums erläutern?

 

Wie was erinnert wird, welche Erzählung präsentiert wird, sieht man an den Sammlungen. Es gibt zum Beispiel im Museum für Hamburgische Geschichte eine Abteilung, die sich „Aufbruch in die Moderne“ nennt. Dort befindet sich auch der Teil „Handel mit Übersee“. Alleine dieser Titel stellt den Handel ins Zentrum, fokussiert aber nicht den Kolonialismus beziehungsweise den Imperialismus, der das ermöglichte.

Interessant ist, wie die Erzählung vermittelt wird, wie die Positionierung der Erzählenden ist und wer in diese Erzählung integriert ist. Wer darf überhaupt erzählen? Geht es nur um die Hamburgische Perspektive oder auch um die der „Handelspartner“? Wer die Macht hat, die Erzählung zu formulieren, bestimmt dann auch, was darin vorkommt. 

„Wer die Macht hat, die Erzählung zu formulieren, bestimmt dann auch, was darin vorkommt.“

Wie könnte oder sollte Ihrer Meinung nach diese Erinnerung und die Präsentation dieser Geschichte vielfältiger gestaltet werden? Wie könnte ein Perspektivwechsel stattfinden?

 

Das ist durch die Einbindung von Partner*innen möglich, die eine andere Seite erzählen können. Das Museum für Hamburgische Geschichte zum Beispiel befindet sich in der Neukonzeption und wird sich in dieser Hinsicht anders aufstellen. Man kann aber auch die eigenen Objekte auf blinde Flecken abklopfen: Was erzählen sie bisher und was steckt in ihnen, das noch nicht erzählt worden ist? Für viele stadthistorische Sammlungen exemplarisch sind zum Beispiel Zuckerdosen oder andere Stücke aus Porzellan. Häufig sind sie schlicht Teil der stadtgeschichtlichen Erzählung.  Sie weisen im ersten Moment nicht auf Kolonialismus oder Imperialismus hin, haben aber sehr wohl auch eine koloniale Geschichte. Ich glaube, dass in dieser Herangehensweise sogar das größere Potential liegt. Es sind spannende Geschichten, die zu Tage treten können, gerade bei Objekten, von denen man es auf den ersten Blick nicht erwartet.

Und welche spannenden Geschichten haben Porzellan-Zuckerdosen oder Kaffeetassen auf Lager?  

 

Zucker ist ein Produkt, das mit dem Versklavungshandel zusammenhängt. Er war in Europa nicht bekannt und sorgte für eine Geschmacksveränderung im europäischen Raum. Und diese Geschmacksveränderung hat mit Versklavungshandel, mit Kolonialismus und Imperialismus und mit konkreten Menschenleben zu tun. Auch Porzellan oder Leinen kamen im Tauschhandel mit Afrika vor. Es ist wichtig, diese Verknüpfungen zwischen zunächst einander fernliegenden Dingen, über diese Objekte herzustellen und den Blick auf die Zusammenhänge, auf das Phänomen der entangled histories zu werfen. Aus einer kuratorischen Perspektive finde ich es sehr interessant, diese Verbindungen offenzulegen und diese kolonialen Spuren sichtbar zu machen.

Sehen Sie in den Museen der Stadt Hamburg interessante Weiterentwicklungen, Ideen und Projekte, die in diese Richtung gehen, die Sie beschrieben haben?

 

Ich glaube schon, dass meine eigene Arbeit im Deutschen Hafenmuseum sehr davon geprägt ist. Ich betrachte die vorhandenen Sammlungen immer auch mit einem wissenschaftlichen, postkolonialen und mit einem genderinformierten Blick. Beim Aufbau des Deutschen Hafenmuseums ist es mir wichtig, dass ich eine integrierte Perspektive einbringe. Und im Rahmen der Neukonzeption der historischen Museen, bei der ich nicht selber involviert bin, ist das der springende Punkt: Aus welcher Position erzählen wir die Hamburgische Geschichte? Andere als die bisherigen Perspektiven müssen einbezogen, eigene Positionen reflektiert werden.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, postkoloniale Erzählungen und Auseinandersetzungen zu präsentieren, ohne sich an den alten Spuren abzuarbeiten? Wie kann es gelingen, etwas Neues zu schaffen oder zu präsentieren? 

 

Zunächst ist ein inreach sehr wichtig, also ein Blick nach innen, um eine vielfältige Organisation mit einer Multiperspektivität zu schaffen. Das ist sehr wichtig. Damit kann eine Verschiebung zu Narrativen, die vielleicht nicht so bekannt sind, gelingen. Auch ich selber habe blinde Flecken und gehe deshalb so vor, dass ich Texte aus afrikanischen Ländern, aus Kenia, aus Liberia lese und mich mit den Wissenschaftler*innen vernetze, um deren Perspektiven mitzubekommen. Das ist gar nicht so einfach, weil der Wissenschaftsdiskurs ein sehr europäisch-amerikanischer Diskurs ist. Es geht aber darum, die eigenen Grenzen zu überwinden und dabei die bestehende Machtasymmetrie im Blick zu haben. Ich versuche vor allem auch Themen zu finden, die nicht im Gegensatz oder im Zusammenhang mit europäischer Kolonisierung stehen. Das ist aufgrund der Gegebenheit – ich befinde mich im Globalen Norden, dessen Sprachen ich spreche - nicht einfach.

In meinem konkreten Fall geht es um Hafenarbeit. Dabei tauchen zunächst die Themen auf, die einen europäischen Bezug haben, weil meine Ausgangsperspektive eine europäische ist und ich hier den Zugang zu diesen Quellen habe. Ich starte hier, das ist meine Verortung, denn was soll ich anderes machen? Selbst wenn man die Aspekte rund um Widerstand und agency mit einbezieht, was enorm wichtig und ein richtiger Schritt ist, muss ich darüber hinaus noch Themen finden, die nicht in Referenz zu Europa oder zu den Kolonisierenden stehen. Das ist mein Ziel.