Hannimari Jokinen

© Stilla Seis

Hannimari Jokinen
+

„Das Thema transatlantischer Menschenhandel ist in Hamburg weitgehend unerforscht.“ 

Interview: Anke Schwarzer

Welche Orte und Räume in Hamburg kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie an die koloniale Geschichte und Gegenwart denken?

 

Ich habe mir am Anfang alte Karten der Palmaille, eine der ältesten Straßen in Hamburg-Altona, angeschaut. Ich habe dabei festgestellt, dass sich diese Gegend über Jahrhunderte von einer Wiesenlandschaft mit Windmühlen über prächtige Häuser mit Barockgärten bis hin zur Industrialisierung unten am Hafen entwickelt hat. Unterhalb der Palmaille gab es den Altonaer Hafen an der Elbe. Dort waren Werften, in denen Schiffe für den transatlantischen Menschenhandel gebaut wurden. Man konnte im damaligen dänischen Altona, das geht aus historischen Dokumenten hervor, zweigedeckte Schiffe mit Ketten an Bord chartern. Zum Beispiel dachten Caspar Voght und Georg Heinrich Sieveking, überliefert in einem Bericht des Historikers Heinrich Sieveking, darüber nach, bei Baur [1] ein solches zweigedecktes Schiff zu mieten, um versklavte Menschen aus Guinea, dem heutigen Ghana, nach S. Domingo, dem heutigen Haiti, zu deportieren. Doch sie scheiterten an den Kosten der Schiffsversicherung, die sehr hoch waren. Die Versicherer rechneten nämlich bei den riskanten Fahrten die hohe Sterblichkeitsrate der afrikanischen Versklavten mit. Baur hat einen ganzen Gebäudekomplex an der Palmaille gebaut, wo sich heute das südafrikanische Konsulat und die Deutsche Afrika-Linie befinden. 

In Altona und Hamburg war auch Pierre Boué, ein hugenottischer Kaufmann und Reeder, tätig. Er galt zwar als sogenannter Glaubensflüchtling, hat dennoch für den französischen König Ludwig XIV., der ihn ja vertrieben hatte, 23 Menschenhandelsschiffe für seine Compagnie de l’Inde gebaut. Und natürlich gab es noch andere Akteure, die im Königlichen Commerz-Collegium Altona bestens vernetzt waren. Das Schiff Ernst von Schimmelmann [2] stand in Altona immer bereit, um bei Bedarf schnell los zu segeln, vor allem in die Karibik, etwa auf die Insel St. Thomas. Auf den dänischen Inseln St. Thomas und St. Croix gibt es noch heute Stadtteile, die Altona heißen.

Ob das Schiff Ernst von Schimmelmann tatsächlich in Altona gebaut wurde, weiß ich nicht. Aber es gehörte natürlich der Familie Schimmelmann. Das Schiff transportierte nicht nur Waren im karibischen und amerikanischen Raum, sondern auch versklavte Menschen. 

„Ich finde, dass Menschen über diese Inhalte auch unerwartet stolpern sollten.”

Diese Ereignisse liegen sehr lange zurück. Welche konkreten Spuren sieht man heute davon? Sind diese alten Spuren im Stadtraum in irgendeiner Weise markiert?

 

Markiert sind sie nicht. Das ganze Thema transatlantischer Menschenhandel ist in Hamburg weitgehend unerforscht. Ich denke, dass der Arbeitskreis Hamburg Postkolonial zurzeit die einzige Stelle in Hamburg ist, die versucht diese bits und bytes zusammenzubringen und im Stadtraum zu vermitteln. Ich nehme als Beispiel einen Grabstein auf dem historischen Friedhof der Altonaer Christianskirche sehr unweit von der Palmaille, und in diesem Zusammenhang komme ich wieder auf das Schiff Ernst von Schimmelmann zurück.

Auf dem Friedhof gibt es eine Grabplatte für Anton Friedrich Gebauer. Als Cargadeur war er zuständig für die Cargo auf Schimmelmanns Schiffen. Im Jahr 1780 schrieb Heinrich Carl von Schimmelmann an Gebauer: Er solle, so das Zitat, „mit einer Partie Sclaven nach St. Domingue weiter segeln, um sie dort zu verkaufen.” In einem weiteren Brief von 1781 aus Wandsbek schreibt die fromm beschriebene „Schatzmeisterin”, Schimmelmanns Frau Caroline Tugendreich, an ihren Mann: „Kommt Gehbauer nach Hamburg? … Was trägt die axie … was thun die 4 Procente welche du mir versprochen von den profit…? ich glaube, das ich nun balde eine Capitalistin sein werde, darauf rechne ich ganz gewies“. Die Schimmelmanns konnten zufrieden sein: Das Schiff brachte 800 Fass wertvollste Kolonialfracht zurück: Puderzucker und Kaffee, Reingewinn: 75.000 Reichstaler. Hier sehen wir einen direkten Zusammenhang zwischen „Kolonialwaren“ und dem Menschenhandel. Und dieser Gebauer hat dann um die Ecke am Philosophenweg eine große Villa gebaut. Das heißt, dass er als Cargadeur, als Schimmelmanns Angestellter, auch noch sehr reich wurde. 

Wie sollte Hamburg Ihrer Ansicht nach mit diesen kolonialen Spuren im Stadtraum und mit diesem Teil seiner Geschichte umgehen?

 

Altona selbst und besonders die Palmaille ist voll mit Geschichte; jedes Gebäude einzeln erzählt schon eine Geschichte. Es ist sehr spannend, was man da findet. Das kann ich aber nicht alles auf meinen Stadtrundgängen vermitteln, sonst würden sie sehr lange dauern. Es könnte so eine Art Parcours durch Hamburg und Altona mit kurzen Tafeltexten geben. Ich sehe aber die Schwierigkeit, dass es häufig Privathäuser sind, und ich glaube nicht, dass ein Hausbesitzer bereit wäre, vor seinem Haus einen kritischen Text zu sehen. Insofern gäbe es da sicherlich viel zu tun; es müssten viele Verhandlungen geführt werden. Ich glaube, dass es in den meisten Fällen nicht gelingen wird.

Sehen Sie noch weitere Möglichkeiten?

 

Wir bieten ja Stadtrundgänge an, was den Vorteil hat, sich direkt mit Menschen vor Ort auszutauschen. Ansonsten gibt es digitale Mapping-Projekte wie die Webmap Hamburg Global oder dieses des Goethe-Instituts. Diese mediale Aufbereitung ist ein Weg, doch diese Art, einen digitalen Mantel über der Stadt auszubreiten, kann nicht das einzige Angebot bleiben. Denn wer nicht gezielt mit dem Smartphone unterwegs ist, für den bleiben diese Spuren im Stadtraum unsichtbar. Ich finde, dass Menschen über diese Inhalte auch unerwartet stolpern sollten. Und dabei wäre eben eine Informationstafel hilfreich mit einem  QR-Code, der auf eine Website verweist, auf der dann weitere Informationen zur Verfügung stünden.

Es ist sicher auch eine Frage der Zukunft unserer Stadt, wie die Menschen im Stadtraum damit umgehen. Ich wünsche mir insgesamt mehr Aufklärung, mehr Forschung und mehr Kunst. Vor allen Dingen ist der Austausch mit Künstler*innen sehr wichtig, insbesondere aus den ehemals kolonisierten Ländern. Dafür braucht es wiederum Fördergelder.

+-

Fussnoten

[1] Georg Friedrich Baur (1768–1865), Altonaer Kaufmann und Bankier vom Handelshaus J.H. & G.F. Baur. Der Kaufmann Caspar Voght (1752-1839) und sein Geschäftspartner Georg Heinrich Sieveking führten gemeinsam das Handelshaus Voght & Sieveking.

[2] Der dänische Schatzmeister (Finanzminister) Ernst Heinrich von Schimmelmann (1747-1831) war der älteste Sohn des Kaufmanns Heinrich Carl von Schimmelmann (1724-1782), ebenfalls Schatzmeister in Dänemark und zu seiner Zeit nicht nur einer der reichsten Männer Europas, sondern auch einer der zentralen Menschenhändler.