Beatrace Angut Oola

© Klaus Nather

Beatrace Angut Oola
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„Für die Afro-Community war das kein Denkmal, sondern ein Schandmal.“

Interview: Anke Schwarzer, 2021

Welche Orte und Räume in Hamburg kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie an die koloniale Geschichte und Gegenwart denken?

 

Mir kommt als Erstes das Völkerkundemuseum in den Sinn, das jetzt Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt heißt. Mir fällt außerdem die Elbphilharmonie ein und auf jeden Fall der sogenannte „Tansania-Park“ und natürlich der Hagenbeck Tierpark. Ich muss dazu sagen, dass ich Wahlhamburgerin bin und erst seit 2009 in Hamburg lebe. Ich erinnere mich noch an Zeitungsberichte rund um die Proteste gegen das Schimmelmann-Denkmal in Wandsbek [1]. Dabei ist mir bewusst geworden, welche Orte nach wie vor an die Kolonialzeit erinnern und war verblüfft über die Proteste der Afro-Community und deren Vorhaben. Ich bin in Bornheim in Nordrheinwestfalen und in Baden-Baden in Baden-Württemberg aufgewachsen. Zu sehen, dass Schwarze zusammenkommen und protestieren, war für mich ein einschlägiges Erlebnis.

Das war der Anstoß für mich, mehr über die koloniale Geschichte zu erfahren, denn ich hatte mich bis zum damaligen Zeitpunkt kaum mit kolonialen Erinnerungsorten auseinandergesetzt. Ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, sich daran zu beteiligen. Auch die freedom roads! Ausstellung [2] hat 2013 gezeigt, wie umgeben wir von kolonialen Orten sind und wie viel es noch an Aufarbeitung bedarf.

Könnten Sie die Ereignisse rund um das Schimmelmann-Denkmal etwas genauer beschreiben?

 

Es ging um das Schimmelmann-Denkmal in Wandsbek. Man ehrte dort einen der größten Sklavenhändler. Für die Afro-Community war das kein Denkmal, sondern ein Schandmal. Dass dieses neu aufgestellt und so prominent platziert wurde, zeigte, wie sehr der Handel mit versklavten Menschen aus Afrika verharmlost wird. Es zeigte, dass keine Aufarbeitung stattgefunden hat. 

Dadurch dass ich neu in Hamburg war und die Afro-Deutsche Community noch nicht kannte, war ich ganz positiv gestimmt, dass so ein Protest möglich ist. 

„Ich finde es mutig und phänomenal, dass sich Menschen zusammentun und fordern: 'Das Denkmal muss weg!'”

Dass Schwarze Personen sich zusammenzufinden, um für etwas einzustehen, hat den Umzug nach Hamburg sehr sympathisch gemacht. Ich hatte ein gutes Gefühl und sah, dass hier ein Umdenken stattfindet, dass es Bewegung und eine Aktion gibt, die toleriert wird.

In welchem Licht sehen Sie das Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt

 

Das MARKK, das Völkerkundemuseum – allein schon der Name war für mich unfassbar, noch dazu der Ort mit der alten Eingangshalle mit all den Namen. Die Architektur ist die gleiche geblieben. Man hat die Orte so erhalten, als wäre historisch nichts passiert. Für mich war immer klar, dass das ein Ort ist, an dem ich mich nicht involvieren kann, indem ich zum Beispiel Veranstaltungen initiiere oder daran teilnehme. Das ist ein Ort, der eine massive Aufarbeitung braucht. Die Architektur ist so prägend, dass ich, wenn ich das Gebäude betrete, bestimmte Bilder der Entmenschlichung vor Augen habe.

Und es gab einige Formate, die fortgeführt wurden, wie die „Indianerschau”. Man sieht den Wandel. Mit der neuen Leitung findet ein Umdenken statt. Ich habe 2018 ein Projekt im Museum initiiert. Im Rahmen der Ausstellung Flow of Forms, habe ich das erweiterte Rahmenprogramm konzipiert, einen Talk mit dem Titel „The Politics of African Fashion“. 

Wie sollte mit diesen kolonialen Spuren im Stadtraum, mit dieser von Ihnen beschriebenen Architektur umgegangen werden? Sollen sie überhaupt markiert werden?

 

Ich denke Transparenz ist sehr wichtig. Wenn man neu in der Stadt ist, erfasst man die Zusammenhänge nicht auf den ersten Blick. Es braucht Tafeln, die sie klar kontextualisieren.

Was sollte auf der Tafel stehen und wer sollte so eine Tafel erstellen?

 

Die Tafeln sollten von der Afro-Community gemacht werden, also von unterschiedlichen Organisationen, die Know-how und Expertise mitbringen, egal ob diese aus dem geschichtswissenschaftlichen oder aus einem aktivistischen Kontext kommen. Diese Tafeln wären definitiv der erste Schritt. Darüber hinaus müssten aber auch gezielt Informationen und Touren angeboten werden. 

Jetzt werden diese kritischen Stadttouren nur versteckt angeboten und man muss lange nach ihnen suchen. Die Institutionen sollten auch selber Touren für ihr Publikum anbieten. Es fehlt an Information und breiter Berichterstattung über die kolonialen Hintergründe, vor allem von den Institutionen selbst. Hagenbecks Tierpark ist dafür auch ein Beispiel. Viele wissen nicht, dass es dort Menschenzoos gab, auch Afrikaner und Afrikanerinnen nicht. Eine Bekannte von mir hat in dem Zoo ihre Hochzeit gefeiert und erst im Nachgang erfahren, was das für ein Ort war. Sie war absolut entsetzt und schockiert. Und das sind Erfahrungen, die möchte niemand haben. Da fehlt es an Transparenz. 

Sehen Sie Möglichkeiten für einen empowernden Aufbruch jenseits der alten kolonialen Spuren?

 

Ja, auf jeden Fall! Zum Beispiel die Aktivitäten, die wir mit Fashion Africa Now machen. Das ist Empowerment pur. Wir agieren aus Schwarzer, afrikanischer Perspektive und stehen für Teilhabe, Inklusion und Repräsentanz. Die Plattform und auch die Veranstaltungen sind nicht ausschließlich Safe Spaces und jeder, der interessiert ist, lernen oder sich informieren will, kann teilhaben.

Zu betonen ist, dass der Content hauptsächlich von BIPoC konzipiert wird. Wir erleben, dass das Interesse und die Nachfrage nach solchen Orten bestehen, weil sie fehlen. Sie fehlen absolut! Häufig mangelt es aber an Finanzierung für die Projekte und Akteure. Vor allem ist der Zugang zu Fördermöglichkeiten für Initiativen erschwert, wenn nicht weiße Menschen in der Leitung aufgeführt sind, die ein Programm für die weiße Dominanz-Gesellschaft entwickeln. Es braucht für die Arbeit des Empowerments die BIPoC Expertise in relevanten Führungspositionen! Diese fehlt in den Institutionen und außerdem benötigt sie erst einmal Anerkennung. 

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Fußnoten

[1] Der Bezirk Wandsbek hatte im September 2006 eine neu geschaffene Schimmelmann-Büste vor dem Rathaus eingeweiht. Sie ehrte Heinrich Carl von Schimmelmann (1724-1782), einen Kaufmann, der in Wandsbek Manufakturen und in der Karibik Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen sowie versklavte Afrikaner und Afrikanerinnen besaß. Er war zudem Alkohol-, Waffen- und Menschenhändler. Nach Protesten, insbesondere der Black Community Hamburg, wurde das Denkmal im August 2008 abgebaut. [Anm. Anke Schwarzer]
[2] Eine Wanderausstellung zu kolonialen Straßennamen und postkolonialer Erinnerungskultur, die von Berlin Postkolonial e.V. und dem Hamburger Projekt afrika-hamburg.de initiiert wurde. [Anm. Anke Schwarzer]